Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet
Das Jahr hat kaum angefangen, da hat es seine erste kleine theologische Kontroverse. Tobias Faix hat einige Gedanken zur Jahreslosung gepostet. Er hat dabei den Blick darauf gelenkt, dass in der Bibel seiner Meinung nach Gott nicht immer nur mit männlichen Attributen beschrieben wird. Er listet Stellen auf, die Gott auch mit weiblichen Attributen und Bildern beschreiben sollen.
Kurz darauf antwortete Ron Kubsch auf diesen Beitrag auf seinem Blog. Er ist alle Stellen einzeln durchgegangen und hat sie daraufhin untersucht, ob diese Stellen Gott wirklich mit weiblichen Bildern beschreiben. Sein Fazit ist, dass das eher nicht der Fall ist:
Viele der angeführten Begründungstexte haben im Blick auf die Behauptung keine Beweiskraft. Einige Texte rufen entsprechende Bilder oder Assoziationen hervor, ohne das sie ein weiblicheres Gottesbild erzwingen. Lediglich Hiob 38,29 könnte die Ansicht, Gott werde als gebärende Frau gekennzeichnet, stützen. Jedoch ist auch dieser Text nicht so evident, dass er den restlichen Befund kompensieren kann.
Ich selbst finde Rons Beobachtungen größtenteils sehr treffend. In vielen der erwähnten Stellen wird Gott nicht mit weiblichen Bildern beschrieben. Ihm werden Eigenschaften zugeschrieben, die auf der Vergleichsseite kulturell eher mit Frauen verbunden werden.
Das ist auch bei der Jahreslosung der Fall. Gott wird nicht als Mutter beschrieben, die ihre Kinder tröstet. Der Text sagt nur, dass Gott sein Volk genauso tröstet, wie es eine Mutter tut.
Ohne mich in die Fallstricke der Genderforschung zu begeben, kann man wohl doch behaupten, dass Männer und Frauen tendenziell unterschiedlich trösten. Der Unterschied kann je nach Zeit und Kultur mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. Ich stelle aber mal die Behauptung auf, dass in der Zeit, als dieser Text geschrieben wurde, die fürsorgliche Tröstung eher bei der Mutter zu finden war. Wenn es die Absicht des Textes war, diese Art des einfühlsamen Trostes Gott zuzuschreiben, dann konnte die Vergleichsgröße nur eine Mutter sein. “Trösten wie ein Vater” hätte in diesem kulturellen Kontext die falschen Vorstellungen geweckt.
Wir finden hier aber anstelle eines weiblichen Bildes von Gott eher ein verändertes Vater-Bild. Denn Gott als Vater will zeigen, dass er anders trösten wird als man es in der damaligen Kultur von einem Vater erwartet hätte.
Grundsätzlich muss bei dieser ganzen Debatte festgehalten werden: Gott ist nicht männlich oder weiblich. Gott ist Geist. Geschlechtlichkeit ist aber ein Ausdruck der biologischen – also materiellen – Verfasstheit des Menschen.
Auf der anderen Seite hat Gott den Menschen verboten sich ein Bild von ihm zu machen.
Stattdessen hat Gott selbst ein Bild von sich gemacht, als er in Jesus Christus Mensch geworden ist.
Die Inkarnation ist dabei nicht nur kulturell zu verstehen. Als Gott in Jesus Mensch geworden ist, da war das eine Entscheidung mit ewigen Folgen. Jesus ist nach seiner Kreuzigung leiblich auferstanden und auch so in den Himmel aufgefahren. Christus bleibt Gottmensch wie er geboren wurde für immer. Das sexuelle an der Geschlechtlichkeit wird vergehen, aber Geschlechtlichkeit an sich nicht, denn sie ist Teil unserer schöpferlichen Identität und bleibt es auch. Nur das sie in der Ewigkeit befreit wird von externen und internen Klischees und Zwängen.
Gott hat sich dazu entschlossen, sich in der männlichen Form zu offenbaren, schon bevor er in Christus Mensch geworden ist. Es gäbe Möglichkeiten für ihn das anders zu tun. Es gab früher auch weibliche Götter, die verehrt wurden. Es wäre vielleicht nicht ganz gewöhnlich gewesen, aber auch nicht ohne Präzedenz.
Aber wenn wir die Bibel als Selbstoffenbarung Gottes ernst nehmen, als aktive Inspiration, dann ist die Offenbarung als Vater das Bild, durch das er sich den Menschen zeigen wollte. Dadurch wird keine Wertung der Geschlechter vorgenommen. Aber in der von Gott selbst gesetzten Binärität der Geschlechter gab es nur zwei Möglichkeiteb sich den Menschen verständlich zu offenbaren. Das gilt umso mehr für seine Offenbarung in Jesus Christus.
Die Alternative ist ein passives Inspirationsverständnis, bei dem wir in der Bibel nicht die Selbstoffenbarung Gottes vorfinden, sondern nur die Offenbarung der religiösen Erfahrungen, Vorstellungen und Gedanken der Autoren selbst. Die Bibel zeigt uns dann nicht, wie Gott ist, sondern wie die Autoren sich Gott vorgestellt haben und wie er ihnen in ihren ganz eigenen Worten begegnet ist. Gott ist hier nicht aktiver Eingeber, sondern passiver (in dem Sinne, dass er an der Entstehung der Texte nicht aktiv beteiligt ist) Anstoß für das geschriebene Wort.
In dem Fall wäre die Beschreibung Gottes als Vater dem Verständnis der zeitlich gebundenen Autoren entsprungen und damit tatsächlich nicht normativ.
Ich selbst gehe aber von der ersten Möglichkeit der aktiven Inspiration aus und damit auch davon, dass Gott selbst es gewählt hat sich als Vater vorzustellen.
Da Gott aber nicht Mann oder Frau ist, stünde die Tür tatsächlich offen, ihn auch mit weiblichen Bildern zu beschreiben. An der Stelle aber greift für mich das Bilderverbot Gottes für den Menschen sich Bilder von Gott zu machen. Was mir dann bleibt, ist, auf das Selbstbildnis Gottes in seinem Wort zurückzugreifen.
Wovor wir uns dann aber hüten müssen – und da kann die Jahreslosung tatsächlich eine Inspiration und Hilfe sein – ist, dass wir unsere begrenzten und von Sünde geprägten Vorstellungen vom Mann und Vater Sein auf Gott übertragen. Vielmehr sollen wir uns von Gott her das Bild davon geben lassen, was es wirklich heißt Vater und Mann zu sein. Wenn Gott sich bewusst als Vater vorstellt, dann tut er das m.E. in idealer Form. Wenn er diesen Weg wählt, dann ganz, so wie er in Jesus ganz Mann geworden ist und nicht ein androgynes Mischwesen. Was für manche u.U. als Begrenzung wirkt und vielleicht sogar abschreckend, ist aus meiner Sicht eher eine große Chance und Gelegenheit.
Wir können dadurch viel von Gottes guter Vorstellung der binären Geschlechtlichkeit lernen, die uns nicht einschränken, sondern befähigen soll, wenn wir sie so annehmen und ausleben, wie Gott sich das vorgestellt hat. Ich denke das würde auch viel Streit und Missverständnis aus dem Zusammensein und Aufeinanderbezogensein der Geschlechter herausnehmen. Gott stellt Mann und Frau einander gegenüber, damit sie durch den Umgang mit dem ganz Anderen sich selbst in ihrer Unterschiedlichkeit und Einzigartigkeit besser kennen lernen und annehmen dürfen.