Hebr 1,3-4: Jesus lässt Gottes Herrlichkeit auf uns scheinen und er ist der genaue Abdruck des wahren Wesens Gottes; er sorgt für den Bestand des Universums alleine durch sein mächtiges Wort. Und nachdem er die Reinigung von den Sünden vollbracht hat, hat er sich im Himmel an die rechte Seite des majestätischen Gottes gesetzt. Er ist so viel bedeutender geworden als die Engel, wie auch sein Name, den er geerbt hat, ihren Namen weit überragt.
Der Hebräerbrief ist sprachlich gesehen ein Unikat im Neuen Testament. Der größte Teil der anderen Briefe und die Evangelien wurde in relativ volksnaher, einfacher Sprache verfasst, der sog. Koine.
Anders der Hebräerbrief. Er kommt der griechischen Hochsprache von allen neutestamentlichen Schriften am Nächsten. Das zeigt eine hohe sprachliche Fähigkeit beim (unbekannten) Autor an. Die lässt sich auch daran erkennen, dass der Hebräerbrief viele sog. Hapax Legomenna (HL) aufweist. Das sind Wörter, die im ganzen Neuen Testament nur einmal vorkommen. Nur Lukas verwendet in seinem Evangelium und in der Apostelgeschichte noch mehr einmalige Wörter und auch ihm wird eine hohe Sprachkenntnis zugeschrieben.
In Vers 3 finden wir z.B. zwei dieser Hapax Legomenna. Und ein drittes Wort transportiert in diesem Kontext eine Bedeutung, die es bei den anderen Verwendungen im NT nicht vermittelt.
ἀπαύγασμα ist das erste dieser HL. Es kann sowohl eine aktive als auch eine passive Bedeutung transportieren. Aktiv bedeutet es „Schein, Strahl“. Die passive Bedeutung ist „Abglanz, Reflektor“. Bei der Übersetzung muss man sich für eine der beiden Bedeutungen entscheiden. Strahlt Jesus Gottes Herrlichkeit aus sich selbst heraus, oder spiegelt/reflektiert er die Herrlichkeit „nur“ weiter? Ich habe mich für die zweite Variante entschieden und zwar aus folgenden Gründen: Der unmittelbare Kontext legt diese Bedeutung nahe. Darauf werde ich gleich zu sprechen kommen.
Aber auch der biblische Kontext lässt mich zu diesem Schluss kommen. Texte wie Kol 1,15, Kol 2,9 aber vor allem auch Joh 14,9-10 betonen die Beziehung in der Jesus zum Vater steht. Jesus ist die sichtbare Repräsentanz der Herrlichkeit Gottes.
χαρακτὴρ ist das zweite HL in diesem Vers. Das Wort beschreibt einen genauen Abdruck, wie er z.B. bei einem Siegel oder bei einer Münze als Ergebnis des Stempelns vorhanden ist.
ὑποστάσεως ist zwar kein HL, aber die hier verwendete Bedeutung gibt es so sonst im NT nicht. Im übrigen NT wird das Wort mit der Bedeutung „das Feststehende“ verwendet (2 Kor 9,4; 11,17; Heb 3,14; 11,1). Hier meint das Wort dagegen den Kern, das Wesen einer Sache oder Person, seine Substanz. In diesem Sinne wird der Begriff auch im Bekenntnis zur Chalcedon eingesetzt um das Verhältnis der menschlichen und göttlichen Natur (Hypostase) in Jesus zu beschreiben. Jesus gibt exakt wieder, was Gott in seinem Wesen und seiner Substanz ausmacht. Dabei geht es natürlich nicht um äußere Dinge, sondern um seinen – eben – Charakter, seine Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Jesus ist – wie Paulus es in Kol 1,15 ausdrückt – das Ebenbild des wahren Gottes. Und auch wir sind herausgefordert, durch unser Leben dieses Wesen Gottes für Andere erkennbar werden zu lassen.
Der Autor betont in diesem dritten Vers die Wesenseinheit zwischen Vater und Sohn. In Jesus begegnet uns der Vater unverfälscht so wie er wirklich ist. Jesus selbst drückt es in Joh 14,9 so aus „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“.
Anschließend fährt der Autor fort, Jesus von seinem Wirken her zu beschreiben. In Vers 2 wird Jesus als Erbe und als Werkzeug der Schöpfung beschrieben. In Vers 3 wird Jesus als Bewahrer der Schöpfung, als Erlöser und als Mitregent vorgestellt.
Aus alledem ergibt sich seine Stellung. Der Hebräerbrief vergleicht Jesus hier mit den Engeln. Engel spielten in manchen jüdischen Gruppierungen eine große Rolle. Es ist möglich, dass es jüdische Christen gab, die sich schwer damit taten, Jesus wirklich auf einer Stufe mit Gott dem Vater zu sehen. Das ist ein Thema, das die Kirche in den nächsten Jahrhunderten noch intensiv beschäftigen wird. Eine Lösung für dieses Problem hätte darin bestehen können, Jesus als „Sohn Gottes“ unter die anderen „Gottessöhne“ (Hiob 1,6) – also die Engel – einzuordnen. Er wäre ein herausragender, aber eben nur ein Engel.
Diesen Gedankenspielen macht der Hebräerbrief einen Strich durch die Rechnung. Und gerade der Beziehung zwischen Jesus und den Engeln widmet der Autor den Rest des ersten Kapitels und das ganze zweite Kapitel.
Die Marschrichtung dafür gibt er in 1,4 bereits vor: Jesus ist viel bedeutender als die Engel und sein Name überragt den der Engel bei Weitem. William Lane (WBC) vermutet wahrscheinlich zurecht, dass mit diesem Namen auf den Ausdruck „Mein Sohn“ aus Vers 5 angespielt wird (Unterstützt durch die Formulierung „den er geerbt hat“). Die Engel sind dienstbare Geister (1,7), die sich vor diesem Sohn niederwerfen müssen (1,6). Der Sohn aber wird herrschend auf dem Thron sitzen (1,8). Es besteht also ein qualitativer Unterschied zwischen diesem Sohn und den ehrenhalber als „Gottessöhne“ bezeichneten Engeln.
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