Hebr 1,9: Du hast die Gerechtigkeit geliebt und du verabscheust die Gesetzlosigkeit. Darum hat dich Gott, dein Gott, gesalbt mit dem Öl der Freude im Unterschied zu deinen Gefährten.
In V.9 wird weiter gesagt, dass Jesus die Gerechtigkeit liebt, aber die Gesetzlosigkeit hasst. Interessanterweise werden hier Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit gegenübergestellt, und nicht Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit.
Gesetzlosigkeit ist die Quelle der Ungerechtigkeit. Wer die Gerechtigkeit liebt, der wählt die Ordnung. Wer die Gesetzlosigkeit wählt, der produziert Ungerechtigkeit.
Deshalb „hasst“ Jesus die Gesetzlosigkeit. Denn ihre Früchte widerstreben allem, wofür seine Herrschaft steht.
In 1Kor 14,33 schreibt Paulus im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Sprachenrede im Gottesdienst: „Gott ist kein Gott der Unordnung, sondern ein Gott des Friedens“.
Damit wird ein ähnlicher Kontrast ausgedrückt wie hier: Unordnung gehört in die gleiche Sphäre wie Gesetzlosigkeit und Ungerechtigkeit. Alle drei Begriffe beschreiben etwas, was das menschliche Miteinander erschwert und problematisiert. Durch Ungerechtigkeit, Gesetzlosigkeit und Ordnung wird eine Gemeinschaft destabilisert, es entsteht Unfrieden und es kann bis hin zum Zerbruch einer Gemeinschaft führen.
Das alles ist aber genau das Gegenteil von dem, was Jesus mit seiner Herrschaft beabsichtigt. Das Mittel seiner Herrschaft ist die Gerechtigkeit. Die Grundlage dieser Gerechtigkeit sind der Wille und die Ordnung Gottes. Und das Ziel dieser Herrschaft ist der Schalom – der Friede Gottes, der mehr ist, als die Abwesenheit von Streit und Krieg. Wo der Friede Gottes herrscht, kann der Mensch sich ganz entfalten und seinen Lebenssinn finden und ausleben. Der Friede Gottes ist der Humus und er ist das Gewächshaus, auf dem und in dem die menschliche Gesellschaft sich gesund und geschützt entfalten kann.
Diese Haltung Jesu ist der Grund dafür („διὰ τοῦτο“), dass Gott ihn mit „Öl der Freude“ salben wird, und zwar „vor seinen Gefährten“.
In vielen deutschen Bibeln wird die Wendung „ὁ θεὸς ὁ θεός σου“ als Anrede mit „… o Gott, dein Gott …“ übersetzt. Jesus wäre in diesem Fall erneut (vgl. V.8) als Gott angesprochen worden, der von seinem Gott – also dem Vater – gesalbt worden ist.
Das aber ist ganz sicher nicht die Bedeutung der ursprünglich aus der Septuaginta stammenden Formulierung. Diese geht wiederum zurück auf die hebräische Vorlage. In Ps 45,7 wird der im Psalm besungene König אֱלֹהִים angeredet. Auch an anderen Stellen wurden Menschen als „Götter“ bezeichnet (Vgl. 2Mo 4,16, 2Mo 7,1). Diese Anrede ist in diesem Zusammenhang ein Ehrentitel und soll kein Ausdruck einer Deifikation – also der Vergöttlichung eines Menschen – sein, wie das das bei den Pharaonen oder römischen Kaisern der Fall war.
Um in diesem Zusammenhang keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wer in V.8 gemeint ist, hat der Psalmist durch die erweiterte Formulierung klarstellen wollen, dass an dieser Stelle nicht der König, sondern tatsächlich Gott selbst gemeint ist (Vgl. Delitzsch, Psalmen).
Da das bisher über Ps 45,7-8 Gesagte genauso auch für die LXX Fassung des Psalms gilt, und da der Hebr fast wortwörtlich aus der LXX zitiert, ist die inhaltliche Deutung von Ps 45,7-8 auch auf Hebr 1,8-9 anzuwenden.
Auf der anderen Seite ist es sehr wohl möglich in Hebr 1,9 zu lesen: „… o Gott, dein Gott …“. Denn ὁ θεὸς kann sowohl nominativ („der Gott“) als auch als Anrede/Vokativ („o Gott“) gelesen werden, wie das ja auch in Hebr 1,8 der Fall ist.
Ich vermute fast, dass diese Doppeldeutigkeit dem Autor des Hebr gar nicht ungelegen kommt.
Die Schwierigkeit beim Übersetzen ist nun, dass diese Doppeldeutigkeit vereindeutigt werden muss. Ich persönlich würde im Zweifelsfall an dieser Stelle auf die ursprüngliche Bedeutung zurückgehen und ὁ θεὸς als Nominativ übersetzen.
Der Text erwähnt, dass Jesus „gesalbt wird mit Öl der Freude“. Die Könige Israels wurden als Zeichen ihrer Einsetzung und Bestätigung durch Gott mit Öl gesalbt.
Auch im Neuen Testament gibt es die Salbung mit Öl, z.B. im Jakobusbrief. Dort sollten schwerkranke Personen die Ältesten ihrer Gemeinde rufen und diese salbten den Kranken beim Gebet mit Öl. Das Öl symbolisiert das Wirken Gottes am Menschen. Dadurch lässt sich eine symbolische Verbindung zwischen Öl und Heiligem Geist herstellen, der ja auch die in der Welt wirkende Person Gottes ist. In diesem Sinne wurde Jesus bei seiner Taufe mit dem Heiligen Geist gesalbt.
Die Salbung mit Öl geschieht aber nicht nur bei der Krönung eines Königs, sondern auch im Zusammenhang mit Freudenfeiern. Wenn es Grund zur Freude und zum Feiern gibt, ist auch das ein Ausdruck des Wirkens Gottes (Ps 23,5).
Der von Gott gesalbte Herrscher in Ps 45,7-8 erntet Freude und Segen, weil seine Herrschaft gut und gerecht ist. Nur auf dieser grundlage kann es eine blühende und sich entfaltende Gemeinschaft von Menschen geben.
Das gilt umso mehr für Jesus Christus in Hebr 1,9, denn auf der Grundlage seiner Herrschaft wird ein ewiges Friedensreich errichtet werden, in dem die Freude nie aufhören und durch nichts betrübt werden wird.
Der König in Ps 45 wird gegenüber anderen Königen umliegender Reiche und auch gegenüber den Mitgliedern seines Volkes hervorgehoben. Egal was sie alle geleistet haben, keiner kommt in dieser Situation diesem König gleich.
Das gilt auch für Jesus in Hebr 1,9. Die hier verwendete Formulierung aus παρὰ +Akkusativ stellt diesen Kontrast hervor. DIe Engel sind in diesem Zusammenhang die μετόχους, seine Gefährten oder Mitbewohner. Sie teilen sich die gleiche Lebenswelt – das unsichtbare Reich Gottes – aber sie teilen sich nicht das gleiche Ansehen.
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