landesverrat

Sehr viele dürften bereits über die Affäre um die Seite Netzpolitik.org gestolpert sein. Es war ja auch in allen Medien. Für Alle, die es verpasst haben sollten, hier eine kurze Zusammenfassung:

  • Das Portal Netzpolitik.org veröffentlichte vor einiger Zeit als „vertraulich“ eingestufte Papiere aus dem Haus des Bundesverfassungsschutzes
  • Der Chef des Verfassungsschutzes, Maaßen, erstattet Anzeige gegen das Portal
  • Der ehemalige Bundesanwalt Range leitet ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landesverrat ein, dass nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit gelangt
  • Daraufhin bricht ein Sturm der Entrüstung bei Bürgern, Medien und Politikern los, der als erstes Opfer das Amt des Bundesanwalts Range gefordert hat

An dieser Geschichte gibt es so manches, was für mich schwer verdaulich ist. Ein sehr offensichtliches Problem ist die Diskrepanz im Vorgehen des Bundesanwalts in der Causa NSA und in diesem Fall. Als bekannt wurde, dass sowohl weite Teile der deutschen Bevölkerung (unter Mithilfe durch unseren Auslandsgehemeindienst BND) als auch große Teile des politischen Betriebs in Berlin durch die NSA abgehört worden sind, wurde von Seiten des Bundesanwalts kaum etwas unternommen. Sobald aber ein „kleiner“ Blog relativ1 unbedeutendes Material veröffentlicht, wird sofort die große Keule geschwungen.

Was aber noch ärgerlicher ist, ist der Einblick in den Umgang der Behörden mit vertraulichen Dokumenten, die diese Episode genauso auch wie der NSA-Untersuchungsausschuss (NSAUA) oder aktuelle Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) offenbaren.

Hat ein Staat das Recht gewisse Informationen vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten und sie als „geheim“ zu deklarieren? Ja, natürlich. Es ist absolut nachvollziehbar, dass sensible Informationen nur für einen begrenzten Kreis verfügbar gemacht werden, wenn diese Informationen in den falschen Händen dazu führen könnten, dass Friede, Sicherheit und Freiheit des Staates und seiner Bürger gefährdet werden könnten.

Aber es dürfte ziemlich offensichtlich sein, dass das Mittel der Klassifizierung als Verschlusssache etwas sehr verantwortungsvolles ist und nur mit Vorsicht und Sorgfalt eingesetzt werden sollte.
Wie bei fast allen anderen Werkzeugen gilt auch hier: Es nutzt sich bei übermäßiger Beanspruchung sehr schnell ab. Wenn eine Verwaltung zu fahrlässig und ohne Zurückhaltung alle irgendwie unangenehmen Dokumente zur Verschlusssache erklärt, dann verliert sie schnell an Vertrauen (Siehe das Beispiel mit dem IFG oben). Das gilt erst Recht dann, wenn es allein dem Ersteller eines amtlichen Dokuments obliegt, die Geheimhaltunsstufe dafür festzulegen. Hier sind Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Es sind ja vor allem die Geheimdienste, die – wie der Name bereits suggeriert – gerne im Geheimen operieren. Aber in einem demokratischen System müssen auch die Geheimdienste einer funktionierenden Kontrolle unterliegen können. Eine solche Kontrolle ist aber nur möglich, wenn dem kontrollierenden Organ alle notwendigen Fakten zur Verfügung stehen. Geheimdienste scheuen die Öffentlichkeit, Kontrolle erfordert Öffentlichkeit – in welcher Breite auch immer. Der NSAUA zeigt deutlich, wie schwierig es ist, diese Balance zu halten. Und das die Geheimniskrämer in der Regel am längeren Hebel sitzen. Fakten und Daten, von denen ich gar nicht weiß, das es sie gibt, kann ich schwer kontrollieren. Ein Kontrolleur muss im Vertrauen darauf arbeiten, dass der zu kontrollierende ihm alle relevanten Daten und Fakten zur Verfügung stellt. Denn das Verhältnis zwischen Kontrollierendem und Kontrollierten wird – gerade in großen Verwaltungsapparaten – immer derart ausfallen, dass eine effektive Kontrolle im Detail unmöglich ist.

Was passiert aber dann, wenn der Kontrollierte den Kontrollierenden2 hinters Licht führt und ihm Bewusst Informationen vorenthält? Der Kontrollierende ist wie erwähnt im Nachteil, denn er weiß nicht, dass ihm etwas vorenthalten wurde. In diesem Fall gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Der Kontrollierte kommt mit seiner Trickserei durch
  2. Jemand begibt sich von sich aus auf die Suche nach Problemen und Fehlern im System und wird durch investigative Recherche und beharrliches Nachhaken – auch mit Methoden die dem Kontrolleur nicht zur Verfügung stehen – fündig
  3. Jemand aus dem kontrollierten System empfindet die Kontrolllücke als Problematisch und spielt dem Kontrolleur oder jemand Anders – z.B. der Presse – das Vorenthaltene Material zu, dass gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht ist

Nur wer sehr naiv ist, wird davon ausgehen, dass Punkte zwei und drei nicht nötig sind, weil alle sich an die Spielregeln halten. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Realität eine Andere ist. Darum sind gründlich und mit Freiheiten und Schutz versehen arbeitende Journalisten3 (Punkt zwei) und sog. Whistleblower für ein sich selbst korrigierendes System in der Demokratie unabdingbar.

Aus diesem Grund ist das, was mit Blick auf Netzpolitik.org geschieht tatsächlich sehr problematisch und der Aufschrei dagegen aus meiner Sicht gerechtfertigt. Hier gilt das Motto: Wehret den Anfängen!


  1. Relativ ist hier natürlich relativ zu verstehen … oder so ähnlich. Wie bedeutend das Material ist liegt natürlich immer im Auge des Betrachters. Aber im Vergleich zu den zeitgleich stattfindenden Enthüllungen durch Snowden und Wikileaks sind die Inhalte dieser Papiere weniger schwerwiegend. 
  2. Der Kontrollierende kann eine sehr unterschiedliche Personengruppe sein, von einer Selbstkontrolle im Unternehmen oder Amt bis hin zur Öffentlichkeit als Ganzes als „Kontrollgremium“ für Parlament und Regierung. 
  3. Was nicht bedeutet, dass Journalisten vollständige Narrenfreiheit haben sollten. Denn Journalisten und allgemeiner gesagt: die Medien besitzen auch eine große Macht, die mit viel Verantwortung verbunden ist und die auch missbraucht werden kann und von den Medien leider immer wieder auch missbraucht worden ist. Auch dazu werde ich demnächst hoffentlich etwas schreiben. 

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