Mehr oder weniger digital

Simon de Vries, Pfarrer der Evangelischen Kirche, antwortet auf einen Debattenbeitrag von Hanna Jacobs in der Zeit. Diese plädiert – überspitzt gesagt – für weniger durchschnittlichen Content im Internet und für mehr direkten Austausch vor Ort. Simon zeigt auf, dass es nicht mehr durchschnittlichen Content gibt, sondern dass die Inhalte jetzt einfach nur präsenter sind. Und das die Inhalte die Chance haben, auch bisher nicht erreichte Gruppen über neue Verbreitungswege zu erreichen.

Ja, es gibt die Gefahr, dass man als Pastor oder Pfarrer sich hinter den technischen Neuerungen versteckt oder diese Möglichkeiten überschätzt. Das sollte nicht passieren. Auf der anderen Seite erhalte ich viele ermutigende und dankbare Reaktionen für den sehr durchschnittlichen Content, den ich für meine Gemeinde erstelle. Das kann also nicht alles so falsch sein.

Was ich mir von Anfang an vorgenommen habe, ist aber auch, dass ich mit meinen Inhalten nicht den Eindruck erwecke, als hätte sich im Grunde nichts verändert. Deshalb habe ich mich bewusst dagegen entschieden, Livestreams mit Musik, Vorprogramm etc. zu produzieren. In meinen letzten Videos habe ich sogar angefangen, aus einer Perspektive aufzunehmen, die die leeren Reihen im Hintergrund zeigt. Das werde ich auch beibehalten. Was wir jetzt erleben ist eben nicht Normalität, nur irgendwie anders. Wir als Gemeinde erleben etwas grundsätzlich Anderes gerade, etwas historisch einmaliges.

Aber gerade in dieser Zeit wollen die Menschen auch Orientierung durch Gottes Wort. Und darum mache ich mir die Mühe, 2-3 Videobotschaften in der Woche zu produzieren. Das werde ich jetzt auf 2 Botschaften in der Woche reduzieren, weil der Schock der ersten Wochen langsam einer Gewöhnung weicht.

Gleichzeitig mache ich mir im Hintergrund Gedanken darüber, wie es in dieser Situation weitergehen wird. Gottesdienste werden noch für eine lange Zeit nicht so laufen wie bisher. Selbst wenn es wieder Gottesdienste geben wird, werden nicht alle Mitglieder und Besucher wieder daran teilnehmen können, wenn sie Teil einer Risikogruppe sind.

Aber auch diese Menschen haben ein Recht darauf, geistliche Inhalte zu erhalten. Daher mache ich mir Gedanken darüber, wie man Hauskreise auch digital organisieren und Live-Streams von den wieder stattfindenden Gottesdiensten durchführen kann.

Ich mache mir diese Mühe nicht für die große Masse an Menschen, die – da hat Frau Jacobs recht – es eh nicht mitbekommen werden. Mein Ziel ist es ganz bestimmt nicht, ein Churchfluencer zu werden.

Ich mache mir die Mühe für die Mitglieder der Gemeinde, die am Meisten unter den Folgen dieser Krise zu leiden haben werden, weil sie bisher die treuesten Gottesdienstbesucher waren: Unsere Senioren. Und es ermutigt mich, wenn ich mitbekomme, dass 80 und 90 Jährige jetzt iPads in die Hände bekommen und dankbar dafür sind, dass sie die Predigten von mir über YouTube sehen können.

Es sind gerade diese ganz treuen Besucher, die – so vermute ich es – noch lange Zeit nicht zu den Gottesdiensten kommen werden, selbst wenn diese wieder angeboten werden.

Die technischen „Spielereien“ sind also nicht einfach ein Ausdruck von Hilflosigkeit angesichts der krassen Veränderungen oder von Selbstverliebtheit, weil man sich selbst so gern predigen hört, sondern von praktischer Nächstenliebe, neben vielen anderen Formen von praktizierter Nächstenliebe, die in dieser Zeit hinzukommen.

Die aktuelle Situation ist eine außergewöhnliche Notzeit. Kein Videoimpuls kann die persönliche Begegnung komplett ersetzen. Das steht außer Frage. Aber wenn das Beste nicht möglich ist, dann ist das Zweitbeste nicht unbedingt das Schlechteste.


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