đź“š Traichel „Evangelikale und Homosexualität: FĂĽr eine Kulturreform“

Disclaimer: Ich habe dem Autor beim Korrekturlesen anhand eines Vorabdrucks geholfen. Das hat keinen Einfluss auf meine Rezension.


Homosexualität – das ist so ein Thema, bei dem progressive und konservative Christen wahrscheinlich den gleichen Gedanken haben, wenn auch aus sehr verschiedenen Motiven: „Nicht das schon wieder …“. FĂĽr progressive Christen ist das Thema faktisch bereits erledigt, weil die gesellschaftliche Entwicklung sich auch mehr und mehr in Kirchen und Gemeinden niederschlägt. Und fĂĽr konservative Christen entsteht u.U. ein GefĂĽhl der Frustration, weil man mit dem Eindruck zurechtkommen muss, sich dauernd dafĂĽr rechtfertigen zu mĂĽssen scheinbar auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.
Aber auch wenn das Thema in der (deutschen) Gesellschaft spätestens seit der „Ehe für alle“ durch ist, ist die Diskussion darüber in vielen Freikirchen immer noch in vollem Gange.


In diese Gemengelage hinein hat Johannes Traichel 2022 sein Buch „Evangelikale und Homosexualität: Für eine Kulturreform“ veröffentlicht. Es ist 300 Seiten stark und erscheint im Jota Verlag.
Was der Titel schon erahnen lässt, bestätigt der Autor dann im Vorwort selbst: Hier schreibt jemand aus einer innerevangelikalen Binnenperspektive. Johannes Traichel ist Pastor im Bund der Freien evangelischen Gemeinden. Positiv anzumerken ist, dass der Autor seine eigenen Vorverständnisse und die eigene Prägung von Anfang an offenlegt. Zugleich erhebt der Autor den Anspruch, dass das Buch dieses Thema „sachlich und ergebnissoffen“ (12) betrachten möchte. Auf der anderen Seite stellt er heraus, dass er „der Botschaft Gottes und seiner Liebe zu allen Menschen (gerade auch zu denen, die homosexuell empfinden) gerecht …“ werden will (12).


Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel „Evangelikale und Homosexualität“ umreißt der Autor die aktuelle Debatte im evangelikalen Kontext. Dabei erörtert er an dieser Stelle auch grundsätzliche Einleitungsfragen, wie unter 1.3 „Grundsätzliches zur Homosexualität“.

Kapitel 2 widmet sich den biblischen Texten, die für dieses Thema relevant sind. Dabei setzt Traichel die Schöpfungsgeschichte als „Grundlagendokument“ für Fragen der menschlichen Sexualität voraus (48). Als Ergebnis hält Traichel fest: Die Sodom Episode (Gen 19; par 2. Petr 2,6-7 / Jud 1,7) trägt als Vergewaltigungsgeschichte nichts fruchtbares zur Diskussion über einvernehmliche Homosexualität bei. Für die Passagen Lev 18,22 & 20,13 argumentiert er nachvollziehbar, dass sich diese nicht auf eine bestimmte Form von homosexuellen Handlungen begrenzen lassen können. In diesem Sinne legt Traichel auch die neutestamentlichen Stellen aus. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang der Exkurs über „Sex in der Umwelt des Neuen Testaments“. Der exegetische Befund ist für Traichel eindeutig und in der Konsequenz für ihn unstrittig (120). Darüber, welche Schlussfolgerungen man daraus für die gegenwärtige ethische Praxis zieht, gäbe es aber ganz verschiedene Ansätze (121).

Diese diskutiert Traichel in Kapitel 3 „Ethik, Bibel und Zeitgeist“. Dort formuliert Traichel zunächst einige grundlegende Gedanken zur Ethik, bevor er sich diesem Thema aus alt- und neutestamentlicher Sicht annähert. Er bündelt diese Untersuchung im Abschnitt „Grundzüge biblischer Sexual- und Eheethik“. Anschließend geht Traichel auf einige Fragen ein, die immer wieder in der ethischen Betrachtung der Homosexualität aufgeworfen werden.

In Kapitel 4 beschreibt Traichel seine Vorstellung der „Kulturreform“, die er bereits im Untertitel erwähnt. Er leitet das Kapitel mit einem Interview mit einem Pastor ein, der aus seiner praktischen Erfahrung im Umgang mit homosexuellen Menschen berichtet. Dieses Interview ist sehr wertvoll, weil es die Theorie in der Praxis verankert.


In Kapitel 5 versucht Traichel Wege zu zeichnen, wie die christliche Gemeinde mit diesem ethischen Spannungsfeld umgehen kann. Dabei betont er, dass man im Dialog respektvoll umgehen soll; gleichzeitig plädiert er dafür, dass Gemeinden in der wichtigen Frage der Sexualethik an den überlieferten biblischen Überzeugungen festhalten sollen. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem persönlichen Ausblick des Autors, der seine Wünsche für die weitere Entwicklung wiedergibt.

Wie anfangs erwähnt, ist dieses Thema emotional hoch aufgeladen. Die Argumente der verschiedenen Seiten liegen schon länger auf dem Tisch und sind bekannt. Auch Traichels Buch präsentiert objektiv betrachtet keine neuen Erkenntnisse. Was Traichel mit diesem Buch aber liefert, ist eine grĂĽndliche und trotzdem kompakte Behandlung der wichtigsten Bibelstellen und Fragen zu diesem Thema aus konservativer Sicht. Traichel gibt dabei die Argumente der anderen Seite fair und sachlich wieder und ist um einen fairen Dialog bemĂĽht. Positiv anzumerken ist, dass es Traichel nicht bloĂź darum geht, sachlich recht zu behalten. Man spĂĽrt dem Buch ab, dass Traichel sowohl von dem Wunsch getrieben ist, dem biblischen Befund – wie er ihn versteht – treu zu sein, als auch dem homosexuell empfindenden Menschen in seiner besonderen Situation seelsorgerlich gerecht zu werden.
Eine Schwäche des Buchs ist es, dass es sprachlich nicht immer flüssig geschrieben ist und dadurch der Lesefluss manchmal ins Stocken gerät.
Das ändert aber nichts daran, dass das Buch eine wichtige Bereicherung und Hilfe für den interessierten Leser sein kann, egal welchen Standpunkt man bei diesem Thema einnimmt.


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