Mitarbeiter(innen) Gottes: Geschlechterverhältnisse und Geschlechterrollen in der Erweckungs- und Missionsgeschichte des 19. Jahrhunderts
(Prof. Dr. Ulrike Treusch, Gießen)
Prof. Treusch sucht für ihre Untersuchung einen Alltags- und Lebensweltlichen Zugang; Sie möchte Mehrheitsverhältnisse beobachten und dann nach Aufbrüchen und Ausnahmen fragen.
Das bürgerliche Verständnis der Geschlechter im 19. Jahrhundert
Prof. Treusch beginnt ihren Vortrag mit Zitaten des bekannten Staatstheoretikers Welcker im 19. Jhrd.: rechtlich sind Mann und Frau theoretisch vom Menschenrecht her gleichgestellt, praktisch aber ist eine solche Gleichstellung seiner Meinung nach aufgrund der Wesensunterschiede von Mann und Frau nicht umsetzbar und nicht gewünscht.
Der typische Ausdruck für das Verhältnis von Mann und Frau ist die Ehe, sie ist der Rahmen um über dieses Verhältnis nachzudenken.
Mann und Frau leben als Ulme und Efeu in einer Symbiose, wo der Mann der Starke und die Frau die Schwache sind.
Im Übergang von der Landwirtschaft zur vorindustriellen Gesellschaft entwickelt sich eine Arbeitsteilung, wo die Frau zu Hause bleibt und der Mann in der Öffentlichkeit auftritt und zur Arbeit geht.
Der Aktionsradius der Frau reduziert sich vom großen Hof der Landwirtschaft und der Öffentlichkeit auf das Privathaus in der Stadt.
Ein Beispiel in der Dichtung für das typische Verständnis der damaligen Zeit findet sich in Friedrich Schiller: Die Glocke.
Die Idylle des bürgerlichen Haushalts war – vor allem für die unteren Schichten – sehr begehrenswert. Denn die Frauen hatten kaum ordentliche Arbeit zur Verfügung und die Hausarbeit war angenehmer als alle andere Arbeit, die zur Verfügung stand. Und der Mann musste nicht zu Hause hocken, sondern konnte die Gesellschaft anderer Männer in der Kneipe etc. genießen.
Das Vorbild für das bürgerliche Haus war das Pfarrhaus vom Land.
Durch den technischen Fortschritt und durch die Hilfe von Bediensteten, wenn die Mittel dafür da waren, entstand der Freiraum für die bürgerliche Hausfrau zu sozialen Engagement in der Gesellschaft.
Ledige Frauen und Männer wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt, z.B. dadurch, dass gewisse Beförderungen nur verheirateten Männern offen standen
Für ledige Frauen standen nur gewisse Berufe offen. Daher das große Interesse am Beruf der Diakonisse.
Geschlechterverhältnis und -rollen unter den Erweckten
Die Erweckten übernahmen das bürgerliche Ideal von Mann und Frau und sahen es bestätigt und gefordert durch das biblische Zeugnis.
Dadurch wurde die Ehe als von der Schöpfungsordnung gegründete Institution noch einmal hervorgehoben.
Es gibt keine Herabsetzung der Frau und ihres Intellekts in den erweckten Schriften – wie es in anderen, außergemeindlichen Diskursen vorkommen konnte. Es wurde auch anerkannt, dass der Frau die gleiche Erfahrung der Erweckung und Gnade Gottes offen stand wie einem Mann.
Vor Gott sind alle gleich, in der Welt aber ungleich.
In der amerikanischen Erweckungsbewegung standen für Frauen vier weitere Rollen zur Verfügung:
– Sozialarbeiterin
– Pioniermissionarin
– Laienevangelistin
– Gemeindegründerin
Im englischen Raum konnten Frauen auch Reisepredigerinnen sein und Sonntagschulen gründen.
Dieser soziale Aufbruch der Frau kam aber in Deutschland nicht an, als die Freikirchenbewegung in Deutschland Fuß gefasst hat.
Gründe: Enge Zusammenarbeit zwischen Evangelischer Kirche und (preußischem) Staat, die die bisherige Ordnung aufrecht erhielten und fremde Einflüsse ablehnten.
Das prägte auch die Freikirchen, die um Akzeptanz des Staates rangen. Dazu gehörten auch die Übernahme des gesellschaftlichen Konsenses.
In diesem Zusammenhang stechen die einzelnen Frauen hervor, die sich öffentlich engagiert haben.
Der Stand der Diakonisse bot jungen Frauen eine Alternative zur Eheschließung mit Möglichkeit zur sozialen Arbeit und Ausbildung.
Die Diakonissenanstalten übernahmen aber das gesellschaftliche Familienmodell, mit dem Anstaltsleiter als Pater Familias und den Diakonissen als „Töchtern“ des Hauses.
Die Diakonisse kommt „unter die Haube“, kann sich öffentlich engagieren und doch im gesellschaftlichen Geschlechterkonsens verortet bleiben.
Geschlechterverhältnis von Mann und Frau in der Mission
Die Rolle der Missionarsfrau war die gleiche, wie die der bürgerlichen Hausfrau. Sie musste aber bekehrt sein. Sie wurde auf ihren Dienst nicht vorbereitet und nicht bezahlt.
Auf der einen Seite schritten die Missionare gegen Geschlechterungerechtigkeit (Misshandlungen von Frauen) auf den Missionsfeldern ein. Andererseits exportierten sie die klassischen Rollenvorstellungen ihrer eigenen Kultur bewusst oder unbewusst in die fremden Kulturen hinein.
Mit der Zeit gab es auch ledige Missionarinnen, die aber häufig das Missionsfeld verließen, wenn sie heirateten. Oder sie arbeiteten mit angelsächsischen Missionarsgesellschaften zusammen, wo sie größere Freiheiten hatten.
Offene Fragen waren der Predigtdienst der Frau und die Frage der Taufe durch Frauen.