Gedanken über Asbury

„Erweckung in Asbury“ – diese Schlagzeilen sind durch die christliche Medienwelt in den letzten Wochen gegangen.

Ich gebe ehrlich zu: Meine ersten Gedanken waren sehr skeptisch: „Wird da wieder was gepuscht? Entsteht da ein neuer charismatischer Hype?“ Je mehr ich aber aus Asbury mitbekommen habe, umso interessierter wurde ich. Das klang doch etwas anders, als man es von anderen „Aufbrüchen“ mitbekommen hat. Vor allem die Artikel bei „Christianity Today“ über Asbury fand ich sehr aufschlussreich:

‘No Celebrities Except Jesus’: How Asbury Protected the Revival

Asbury Professor: We’re Witnessing a ‘Surprising Work of God’

Ich bin Pastor einer lebendigen Baptisten-Gemeinde im Norden Deutschlands. Asbury ist weit weg. Gleichzeitig gibt es auch bei uns immer wieder den Wunsch danach, dass Gott unsere Gemeinde bewegt und dass er einen geistlichen Aufbruch schenkt. Mich bewegte der Gedanke, wie ich damit umgehen sollte, wenn bei uns die Frage aufkommen würde, ob wir nicht etwas ähnliches auch bei uns in Bewegung setzen sollten.

Das hier ist „work in progress“ und der Versuch, einige Lektionen aus Asbury aus der Fern-Beobachtung mitzunehmen:

1. Geistliche Aufbrüche sind real

Gott ist überall und sein Geist kann überall wirken. Aber Gott wirkt nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit auf die gleiche Weise. Es gab und gibt Zeiten und Orte, wo die Gegenwart Gottes intensiver erlebt werden kann, als an anderen Stellen und Zeitpunkten. Das intensive, gemeinschaftliche Wirken Gottes zu einem bestimmten Zeitpunkt hat bereits die Urgemeinde in Apg 4,31 erlebt. Durch die Kirchengeschichte hindurch gab es immer wieder geistliche Aufbrüche, die teilweise große kirchliche oder sogar gesellschaftliche Umbrüche nach sich zogen.

2. Geistliche Aufbrüche sind nicht planbar

Was mich besonders aufhorchen ließ bei der Geschichte über Asbury, war die Situation, die das ganze faktisch in Bewegung gesetzt hat. Zack Meerkreebs, ein Hilfstrainer einer Fußballmannschaft und gleichzeitig Mitarbeiter einer Missionsgesellschaft, predigte über Römer 12. Er war so unzufrieden über seine Predigt, dass er seiner Frau nach der Andacht getextet hat: „Wieder ein Reinfall. Ich bin gleich zu Hause.“ Keiner in Asbury hatte einen „Revival“-Feldzug geplant. Da war kein charismatischer Redner, der die Menge aufpeitschen wollte. Bis zum Ende der Schul-Andachtszeit vermittelte nichts den Anschein, dass hier etwas geschehen wird, was später Schlagzeilen machen wird. „Der Geist weht wo er will“ sagte Jesus zu Nikodemus.

3. Geistliche Aufbrüche sind nicht kopierbar

Weil geistliche Aufbrüche nicht geplant werden können, kann man sie nicht einfach kopieren und an einem anderen Ort herbeiführen. Wir brauchen keine „Asbury Nights“, keinen „Asbury Plan“, keine „Asbury Strategie“ oder irgend etwas ähnliches. Wir können dankbar sein für das, was diese Menschen in Asbury erleben. Ich wünsche ihnen von Herzen eine tiefe Begegnung mit der belebenden und heilenden Kraft Gottes. Ich wünsche mir von Herzen, dass dieses bewegten Menschen wieder andere Menschen bewegen und so die Liebe Gottes größere Kreise ziehen kann. Und es ist auch gut, wenn Menschen die Sehnsucht haben, so etwas auch zu erleben. Aber keine Methode und Strategie dieser Welt wird dieses besonderen Moment herbeiführen können.

Das bedeutet nicht, dass wir nichts tun können. Wir sollen und dürfen unsere Sehnsüchte zu Gott bringen. Wir dürfen uns auf ihn ausrichten, auf sein Wort hören, seine Nähe suchen, vor allem auch in der Gemeinschaft mit anderen Christen. Wir dürfen offen dafür sein, dass Gott auf eine unerwartete Weise in unserem Leben wirkt. Aber erzwingen können wir solche Augenblicke nicht.

4. Geistliche Aufbrüche sind kein Selbstzweck

Das andere, was mir beim Lesen der Berichte imponiert hat, war der feinfühlige Umgang der Universitäts-Leitung mit diesem besonderen Augenblick. Sie haben alles dafür getan, damit möglichst viele Menschen diese Erfahrung teilen konnten, ohne dass jemand dieses Ereignis für sich kapern sollte. Dafür haben sie manchmal auch bewusst eingegriffen und verhindert, dass einzelne Personen zu viel Raum eingenommen haben, ohne dabei das Wirken Gottes zu blockieren. Die Versuchung ist groß, die Aufmerksamkeit, die durch so ein Ereignis entsteht, für sich selbst und die eigenen Anliegen zu nutzen. Aber ein Aufbruch kann nur dort entstehen, wo Menschen von sich selbst wegschauen und sich ganz auf Gott ausrichten. Geistliche Aufbrüche sind kein Selbstzweck und kein Ort für Selbstdarstellung.

📚 Traichel „Evangelikale und Homosexualität: Für eine Kulturreform“

Disclaimer: Ich habe dem Autor beim Korrekturlesen anhand eines Vorabdrucks geholfen. Das hat keinen Einfluss auf meine Rezension.


Homosexualität – das ist so ein Thema, bei dem progressive und konservative Christen wahrscheinlich den gleichen Gedanken haben, wenn auch aus sehr verschiedenen Motiven: „Nicht das schon wieder …“. Für progressive Christen ist das Thema faktisch bereits erledigt, weil die gesellschaftliche Entwicklung sich auch mehr und mehr in Kirchen und Gemeinden niederschlägt. Und für konservative Christen entsteht u.U. ein Gefühl der Frustration, weil man mit dem Eindruck zurechtkommen muss, sich dauernd dafür rechtfertigen zu müssen scheinbar auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.
Aber auch wenn das Thema in der (deutschen) Gesellschaft spätestens seit der „Ehe für alle“ durch ist, ist die Diskussion darüber in vielen Freikirchen immer noch in vollem Gange.


In diese Gemengelage hinein hat Johannes Traichel 2022 sein Buch „Evangelikale und Homosexualität: Für eine Kulturreform“ veröffentlicht. Es ist 300 Seiten stark und erscheint im Jota Verlag.
Was der Titel schon erahnen lässt, bestätigt der Autor dann im Vorwort selbst: Hier schreibt jemand aus einer innerevangelikalen Binnenperspektive. Johannes Traichel ist Pastor im Bund der Freien evangelischen Gemeinden. Positiv anzumerken ist, dass der Autor seine eigenen Vorverständnisse und die eigene Prägung von Anfang an offenlegt. Zugleich erhebt der Autor den Anspruch, dass das Buch dieses Thema „sachlich und ergebnissoffen“ (12) betrachten möchte. Auf der anderen Seite stellt er heraus, dass er „der Botschaft Gottes und seiner Liebe zu allen Menschen (gerade auch zu denen, die homosexuell empfinden) gerecht …“ werden will (12).


Das Buch ist in sieben Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel „Evangelikale und Homosexualität“ umreißt der Autor die aktuelle Debatte im evangelikalen Kontext. Dabei erörtert er an dieser Stelle auch grundsätzliche Einleitungsfragen, wie unter 1.3 „Grundsätzliches zur Homosexualität“.

Kapitel 2 widmet sich den biblischen Texten, die für dieses Thema relevant sind. Dabei setzt Traichel die Schöpfungsgeschichte als „Grundlagendokument“ für Fragen der menschlichen Sexualität voraus (48). Als Ergebnis hält Traichel fest: Die Sodom Episode (Gen 19; par 2. Petr 2,6-7 / Jud 1,7) trägt als Vergewaltigungsgeschichte nichts fruchtbares zur Diskussion über einvernehmliche Homosexualität bei. Für die Passagen Lev 18,22 & 20,13 argumentiert er nachvollziehbar, dass sich diese nicht auf eine bestimmte Form von homosexuellen Handlungen begrenzen lassen können. In diesem Sinne legt Traichel auch die neutestamentlichen Stellen aus. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang der Exkurs über „Sex in der Umwelt des Neuen Testaments“. Der exegetische Befund ist für Traichel eindeutig und in der Konsequenz für ihn unstrittig (120). Darüber, welche Schlussfolgerungen man daraus für die gegenwärtige ethische Praxis zieht, gäbe es aber ganz verschiedene Ansätze (121).

Diese diskutiert Traichel in Kapitel 3 „Ethik, Bibel und Zeitgeist“. Dort formuliert Traichel zunächst einige grundlegende Gedanken zur Ethik, bevor er sich diesem Thema aus alt- und neutestamentlicher Sicht annähert. Er bündelt diese Untersuchung im Abschnitt „Grundzüge biblischer Sexual- und Eheethik“. Anschließend geht Traichel auf einige Fragen ein, die immer wieder in der ethischen Betrachtung der Homosexualität aufgeworfen werden.

In Kapitel 4 beschreibt Traichel seine Vorstellung der „Kulturreform“, die er bereits im Untertitel erwähnt. Er leitet das Kapitel mit einem Interview mit einem Pastor ein, der aus seiner praktischen Erfahrung im Umgang mit homosexuellen Menschen berichtet. Dieses Interview ist sehr wertvoll, weil es die Theorie in der Praxis verankert.


In Kapitel 5 versucht Traichel Wege zu zeichnen, wie die christliche Gemeinde mit diesem ethischen Spannungsfeld umgehen kann. Dabei betont er, dass man im Dialog respektvoll umgehen soll; gleichzeitig plädiert er dafür, dass Gemeinden in der wichtigen Frage der Sexualethik an den überlieferten biblischen Überzeugungen festhalten sollen. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem persönlichen Ausblick des Autors, der seine Wünsche für die weitere Entwicklung wiedergibt.

Wie anfangs erwähnt, ist dieses Thema emotional hoch aufgeladen. Die Argumente der verschiedenen Seiten liegen schon länger auf dem Tisch und sind bekannt. Auch Traichels Buch präsentiert objektiv betrachtet keine neuen Erkenntnisse. Was Traichel mit diesem Buch aber liefert, ist eine gründliche und trotzdem kompakte Behandlung der wichtigsten Bibelstellen und Fragen zu diesem Thema aus konservativer Sicht. Traichel gibt dabei die Argumente der anderen Seite fair und sachlich wieder und ist um einen fairen Dialog bemüht. Positiv anzumerken ist, dass es Traichel nicht bloß darum geht, sachlich recht zu behalten. Man spürt dem Buch ab, dass Traichel sowohl von dem Wunsch getrieben ist, dem biblischen Befund – wie er ihn versteht – treu zu sein, als auch dem homosexuell empfindenden Menschen in seiner besonderen Situation seelsorgerlich gerecht zu werden.
Eine Schwäche des Buchs ist es, dass es sprachlich nicht immer flüssig geschrieben ist und dadurch der Lesefluss manchmal ins Stocken gerät.
Das ändert aber nichts daran, dass das Buch eine wichtige Bereicherung und Hilfe für den interessierten Leser sein kann, egal welchen Standpunkt man bei diesem Thema einnimmt.

Eine Predigt über Joh 1,9-14 (ChatGPT)

Das Folgende ist eine „Predigt“, die das Programm ChatGPT auf der Grundlage von Johannes 1,9-14 erstellt hat.


Liebe Gemeinde,

heute möchte ich über Jesus und seine Ankunft in die Welt sprechen, wie sie in Johannes 1,9-14 beschrieben wird. In diesen Versen heißt es, dass Jesus „das wahre Licht“ ist, das in die Welt kommt und jeden Menschen erleuchtet. Er war in der Welt, aber die Welt erkannte ihn nicht. Trotzdem gab er denen, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, das Recht, Kinder Gottes zu werden.

Wer ist also Jesus? Jesus ist der Sohn Gottes, der in Menschengestalt in die Welt gekommen ist. Er ist der Erlöser, der die Menschen von ihren Sünden befreit und ihnen den Weg zu einem besseren Leben eröffnet. Jesus ist auch das Licht, das in die Welt kommt und den Menschen Weisheit und Erkenntnis vermittelt.

Aber warum ist Jesus in die Welt gekommen? Die Bibel lehrt, dass die Menschen von Natur aus von Sünde betroffen sind und somit von Gott getrennt sind. Die Sünde trennt uns von Gott und verhindert, dass wir eine enge Beziehung zu ihm haben. Jesus ist in die Welt gekommen, um die Menschen von ihren Sünden zu erlösen und ihnen den Weg zu einer engeren Beziehung zu Gott zu eröffnen. Er ist der Brückenbauer, der uns mit Gott vereint.

Aber was bedeutet das für uns? Was bedeutet es, dass Jesus in die Welt gekommen ist und uns die Möglichkeit gibt, Kinder Gottes zu werden? Es bedeutet, dass wir die Chance haben, unsere Sünden zu bekennen und um Vergebung zu bitten. Es bedeutet, dass wir uns für Jesus entscheiden und an ihn glauben können. Es bedeutet, dass wir eine enge Beziehung zu Gott haben können und dass wir teilhaben können an seiner Gnade und seinem Segen.

Aber wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass nicht alle Menschen Jesus aufnehmen werden. Johannes 1,11 sagt, dass Jesus „in das Seine“ kam, aber von den Seinen nicht aufgenommen wurde. Das bedeutet, dass es Menschen geben wird, die Jesus ablehnen und sich gegen ihn entscheiden. Aber für uns gibt es die Möglichkeit, Jesus anzunehmen und ihm zu folgen.

Liebe Gemeinde, ich hoffe, dass diese Predigt einige Antworten auf die Frage gegeben hat, wer Jesus ist und warum er in die Welt gekommen ist. Aber ich möchte auch darauf hinweisen, dass es noch viele weitere Aussagen in der Bibel gibt, die sich auf Jesus‘ Rolle als Erlöser beziehen. Ich lade euch daher ein, weiter in der Bibel zu lesen und mehr über Jesus und seine Bedeutung für unsere Lives zu erfahren.

Und vor allem möchte ich euch dazu einladen, Jesus selbst kennenzulernen. Ihn anzunehmen und ihm zu folgen, ist der wichtigste Entscheidung, den wir in unserem Leben treffen können. Es ist der Schritt, der uns ermöglicht, Kinder Gottes zu werden und eine enge Beziehung zu ihm zu haben. Ich lade euch daher ein, eure Sünden zu bekennen und um Vergebung zu bitten. Ich lade euch ein, eure Herzen für Jesus zu öffnen und ihm zu folgen.

Liebe Gemeinde, ich hoffe, dass diese Predigt euch geholfen hat, mehr über Jesus und seine Ankunft in die Welt zu erfahren. Ich bete darum, dass ihr die Möglichkeit habt, Jesus kennenzulernen und ihm zu folgen. Möge Gott euch seinen Segen und seine Gnade schenken, während ihr auf diesem Weg geht. Amen.

📺 Klippert: Krisenfest werden

Für den geplanten Männertag in diesem Jahr hat die Bibelschule Brake Wolfgang Klippert eingeladen, zwei Vorträge zum Thema „Krisenfest werden“ zu halten.

Leider konnte der Männertag nicht in Präsenz stattfinden. Das ist schade und doch Glück zugleich. Denn als Alternative hat die Bibelschule die beiden erstklassigen Vorträge aufgenommen und über YouTube zur Verfügung gestellt.

Im ersten Vortrag geht Klippert darauf ein, was Krisen sind.

Im zweiten Vortrag gibt Klippert dann sieben Ratschläge dafür, wie wir lernen können mit Krisen umzugehen.

2G, 3G – nicht OK?

Das Thema „2G, 3G und Gottesdienste“ treibt Gemeinden und Christen im Kontext der aktuell wütenden vierten Corona-Welle wieder verstärkt herum. 2G und 3G werden für immer mehr Orte und Veranstaltungen zur Zugangsvoraussetzung. Und obwohl es manche Bundesländer gibt, die 3G auch für Gottesdienste verlangen, bleibt diese Frage in den meisten Bundesländern komplett den Gemeinden überlassen.

So ist jede Gemeinde vor die Frage gestellt, selbst zu entscheiden, ob und welche Zugangsbeschränkungen man für die Gottesdienste festlegt.

Natürlich entbrennt über diese Herausforderung die Frage, ob eine Gemeinde überhaupt das Recht habe, so eine Beschränkung festzulegen. Ich habe letztens eine lange „Hilfestellung“ einer Gemeinde gelesen, die sich vornehmlich zum Thema „Impfung“ äußert, dabei aber auch das Thema 2G/3G anspricht.1 Die Autoren der „Hilfestellung“ machen deutlich, dass Gemeindeleitungen gar nicht das Recht hätten, sich dem Staat zu beugen und einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verwehren.

Wie so oft bei komplexen ethischen und theologischen Fragestellung, besteht die Gefahr, dass ein Thema unterkomplex kommuniziert wird und die verschiedenen Ebenen, die auseinander gehalten werden sollten, zu vorschnell zusammengeworfen werden.

Ich beschäftige mich mit dieser Frage auf diesem Weg, weil ich als Pastor natürlich auch herausgefordert gewesen bin, mich zu fragen: Dürften wir das überhaupt oder nicht? Hätten wir das Recht dazu, Gläubigen den Zugang zum Gottesdienst zu erschweren (3G) oder u.U. ganz unmöglich zu machen (2G)?

Ich lasse hierbei bewusst den Aspekt außen vor, dass der Zugang zum Gottesdienst über Livestreams in einer gewissen Form ja dennoch möglich ist.

An dieser Stelle möchte ich auch betonen, dass es mir nicht darum geht, die Frage zu beantworten, ob eine Gemeinde 3G oder gar 2G einführen sollte. Es geht nur darum, ob eine Gemeinde überhaupt das Recht dazu hätte, solche Einschränkungen vorzunehmen. Diese zwei Ebenen auseinanderzuhalten ist extrem wichtig in meinen Augen.

Ich beobachte, dass manche Stellungnahmen aus Ablehnung der aktuellen Corona-Maßnahmen heraus ganz allgemein jede Art von Zugangsbeschränkungen für nicht mit der Bibel vereinbar erklären. Wenn das so wäre, dann wären 2G und 3G tatsächlich keine Option. Wenn es aber grundsätzlich sehr wohl die Möglichkeit gibt, den Zugang zum Gottesdienst zu beschränken, dann hat jede Gemeinde die Freiheit und Verantwortung für sich diese Fragen in der konkreten, aktuellen Situation zu beantworten.

Wenn ich mir über ethische und theologische Fragestellungen Gedanken mache, dann versuche ich mir immer zu überlegen: Was passiert, wenn ich diesen Gedankengang in sein Extrem führe? Das hilft mir, nicht in die Falle zu tappen, Entscheidungen für eine konkrete Situation in einer Breite zu beantworten, dass daraus ungewollte Nebenwirkungen auf anderen Feldern entstehen.

Die Proposition derjenigen, die Zugangsbeschränkungen grundsätzlich ablehnen, könnte so aussehen:

Eine Gemeinde hat kein Recht einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern

Diese Aussage ist auch in verschiedenen Abstufungen und Variationen denkbar:

Eine Gemeinde hat kein Recht einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern oder zu erschweren

Oder:

Eine Gemeinde hat kein Recht sich einer staatlichen Verordnung zu beugen, die sie anweist, Gläubigen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern oder zu erschweren

Ich bleibe zunächst mal bei der allgemeinsten und weitreichendsten Formulierung „Eine Gemeinde hat kein Recht einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern“.

Das dieser Satz in dieser extremen Form so nicht zu halten ist, lässt sich anhand verschiedener praktischer Fallbeispiele schnell aufweisen. Dabei möchte ich noch einmal betonen, dass es sich bewusst teilweise um extrem überspitzte Beispiele handelt. Aber sehr allgemein formulierte Präpositionen müssen sich eben auch bis in die extremen Fallbeispiele hinein bewähren, wenn sie valide sein wollen.

Fallbeispiel 1: Nehmen wir an, ein Mitglied einer Gemeinde erkrankt an Krankheit, die extrem infektiös ist und bei Infektion immer tödlich verläuft, wenn auch vielleicht mit einiger zeitlicher Verzögerung zwischen Infektion, Ausbruch und Todeszeitpunkt. Dürfte eine Gemeinde so einem Menschen den Zugang zum Gottesdienst verwehren, wenn man von seiner Infektion erfahren hat, mit dem Hinweis darauf, dass seine Gegenwart eine existentielle Gefahr für alle Besucher des Gottesdienst darstellt?

Fallbeispiel 2: Ein Christ fällt während des Gottesdienstes durch extrem störendes Verhalten auf; der Besucher fällt durch Zwischenrufe auf und es ist klar, dass diese Verhalten bewusst darauf zielt, den Gottesdienst zu stören.

Fallbeispiel 3: Ein Christ hat einen anderen Christen grenzwertig psychisch und seelisch unter Druck gesetzt. Der so geschädigte Christ ist extrem verunsichert, hat die Gemeindeleitung einbezogen in die Situation, die die Vorwürfe untersucht und als bestätigt sieht, traut sich aber dennoch in den Gottesdienst. Jetzt will aber auch derjenige in den Gottesdienst kommen, der diesen seelischen Druck ausgeübt hat, ohne ein Gespür für das eigene Verhalten zu haben.

Alleine Fallbeispiel 1 sollte jedem klar machen, dass die extrem allgemeine Formulierung „Eine Gemeinde hat kein Recht einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern“ so nicht zu halten ist. Wenn von einer Person eine faktische Gefahr für die anderen Besucher des Gottesdienstes ausgeht, hat die Gemeindeleitung nicht nur das Recht sondern u.U. auch die Pflicht, diesem Menschen den Zugang zum Gottesdienst zu verwehren. Die anderen beiden Fallbeispiele zeigen auf, dass dieser Grundsatz nicht nur für den sehr engen Bereich der medizinischen Risiken Anwendung finden könnte.

Das ist jetzt erst einmal eine rein philosophische Betrachtung dieses Themas. Gibt es aber auch biblisch-theologische Hinweise, diese Sicht der Dinge bestätigen? Ich denke, die gibt es tatsächlich.

Ein Hauptzeuge für diese Sicht der Dinge ist das 3. Buch Mose „Leviticus“. Einen wichtigen Teil dieses Buches nimmt die Einsortierung von Krankheiten, ethischen Verhaltensweisen etc. in „rein“ und „unrein“. Dieses Thema für sich ist bereits sehr komplex, darauf muss an dieser Stelle deutlich hingewiesen werden. Es fallen viele verschiedene Bereiche hier hinein, die bei oberflächlicher Betrachtung scheinbar nichts miteinander zu tun zu haben.

Ich greife exemplarisch einen Themenbereich heraus, der medizinische Fragen berührt, weil es direkt unsere Fragestellung berührt.

In Lev. 13,3–46 wird ausführlich über den Umgang mit Hautkrankheiten gesprochen. Auch hier gibt es wiederum viele Details, die man betrachten könnte, wenn man genau verstehen will, was genau hier warum passiert. Den Raum dafür haben wir nicht. Klar ist, dass der Text nicht ein modernes Verständnis von Infektionskrankheiten zugrunde legt. Es ist also nicht oder nicht ausschließlich die Frage der Ansteckungsgefahr, die definiert, ob jemand aufgrund medizinischer Auffälligkeiten als „rein“ oder „unrein“ eingestuft wird. Trotzdem öffnen diese Texte den Raum dafür, dass es in Gottes Augen Gründe dafür geben kann, dass ein Mensch vom Zugang zum Gottesdienst ausgeschlossen wird. Und das es genau darum geht, macht eine Anekdote aus Num 9,5-11 deutlich. Dort haben Männer eine Leiche berührt und durften deshalb nicht am Passah-Fest teilnehmen, weil sie „unrein“ geworden sind. Diese Männer beschweren sich, wieso sie nicht an der Feier teilnehmen können, nur weil sie einen Toten berührt haben. Gott bestätigt durch Mose das Verbot der Teilnahme, verweist aber auf einen alternativen Termin, an dem sie das Fest nachfeiern können.

Natürlich kann man darauf verweisen, dass es sich hier um alttestamentliche Gebote handelt, die keine direkte Gültigkeit für die neutestamentliche Gemeinde besitzen. Das ist richtig. Indirekt aber finden wir hier dennoch Präzedenzfälle vor, die aufzeigen, dass die Teilnahme am gemeinsamen Gottesdienst kein absolut unantastbares Recht des Gläubigen ist. Und zusammen mit den philosophischen Überlegungen anhand der Fallbeispiele, liegen uns zwei Indizien-Beweise vor, die dafür sprechen, dass die absolute Aussage „Eine Gemeinde hat kein Recht einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern“ einer gründlicheren Betrachtung nicht standhält. Zumindest müssten die Befürworter dieser Präposition auf diese Einwände eingehen und diese sachlich widerlegen, wenn sie an dieser Proposition in dieser Form festhalten wollen.

Zwischenfazit

Die Aussage „Eine Gemeinde hat kein Recht einem Christen den Zugang zum Gottesdienst zu verweigern“ ist aus meiner Sicht weder philosophisch nicht biblisch-theologisch in dieser Form haltbar. Es können Situationen entstehen, die die Möglichkeit oder sogar die Notwendigkeit erzeugen, bestimmten Menschen – auch gläubige Christen – den Zugang zu einer gottesdienstlichen Versammlung zu verweigern.

Wenn das so ist, dann ist es Gemeinden prinzipiell freigestellt, in der aktuellen Situation 2G oder 3G Regelungen für den Besuch des Gottesdienstes festzulegen.

Ob eine Gemeinde das tun sollte, ist eine zweite, davon separat zu betrachtende Frage. Aus meiner Sicht ist das eine Frage, die im Ermessensspielraum einer Gemeinde liegt (Mt 18,18). Wenn eine Gemeinde die Entscheidung trifft, den Zugang zum Gottesdienst aufgrund einer bestimmten Notwendigkeit zu begrenzen, dann handelt sie damit im Bereich der ihr zustehenden Autorität und steht nicht im Widerspruch zu Gottes grundsätzlichen Geboten.

Weiterführende Gedanken

Ob eine Beschränkung notwendig oder empfehlenswert ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab:

  1. Hat die lokale Regierung Beschränkungen für Gottesdienste beschlossen? Wenn das der Fall ist und diese Beschränkungen nicht willkürlich nur für Gemeinden beschlossen wurden, sollte eine Gemeinde die Anordnungen umsetzen, weil die Regierung im Rahmen ihrer Freiheiten handelt und nicht gegen Gottes Gebote verstößt. Natürlich steht es jeder Gemeinde frei, den Rechtsweg zu beschreiten, um prüfen zu lassen, ob diese Anordnungen bezogen auf Gottesdienste tatsächlich mit deutschem Recht vereinbar sind. Das gilt erst Recht für den Fall, dass ein Beschluss sich ausschließlich gegen Gottesdienste richtet.
  2. Gibt es eine aktuelle Bedrohungslage vor Ort? Gibt es also z.B. lokale Ausbrüche im Gemeindeumfeld oder eine sehr hohe Inzidenzrate vor Ort? Dann sollte man freiwillige Beschränkungen in jedem Fall ernsthaft prüfen. Das hängt natürlich auch von der Zusammensetzung der Gottesdienstbesucher ab: Kommen viele ältere Besucher zum Gottesdienst? Gibt es Alternativen zum Gottesdienstbesuch vor Ort durch Livestreams?
  3. Alternativen zu Beschränkungen prüfen! Neben der Beschränkungen durch 3G oder 2G gibt es noch andere Möglichkeiten, um die Bedrohungssituation durch Corona zu reduzieren. Dazu gehört u.a. eine Maskenpflicht in verschiedenem Umfang (am Platz oder nur außerhalb des Platzes, welche Art von Schutzmaske etc.). Dazu gehören aber auch Fragen nach Lüftungsmöglichkeiten, Sitzordnungen, Obergrenzen für Gottesdienst-Teilnehmer, Durchführung mehrere Gottesdienste.

Welche Wege eine Gemeinde in dieser Frage beschreiten wird, hängt natürlich zuerst davon ab, wie man die Bedrohungslage durch Corona grundsätzlich einschätzt: ob man überhaupt an Corona glaubt; oder wenn man Corona für real hält: ob man davon überzeugt ist, dass Corona eine überdurchschnittliche Bedrohung für die Gesundheit darstellt.

Fazit

Jede Gemeinde braucht für die eigene Bewertung der Situation und der sich daraus ergebenden Konsequenzen viel Weisheit und Fingerspitzengefühl. Das ganze Thema ist emotional unglaublich stark aufgeladen. Daher können Gemeindeleitungen und Pastoren nicht bei den rein sachlichen Aspekten stehen bleiben. Aber eine angemessene Entscheidungsfindung ist ohne die sachliche Grundierung nicht möglich.

Die entscheidende Frage dieser Untersuchung lautete: Hat eine Gemeinde das Recht, einem Gläubigen den Zugang zum Gottesdienst zu verwehren? Das Ergebnis lautet: Eine Gemeinde hat unter bestimmten Umständen das Recht und u.U. sogar die Pflicht, Zugangsbeschränkungen festzulegen. Wann so ein Fall eintritt und wie diese Beschränkungen aussehen, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Die Gemeindeleitung hat die Verantwortung, diese verschiedenen Faktoren zu prüfen, sie mit anderen Faktoren abzuwägen und eine weise Entscheidung zu treffen.


  1. Ich verlinke in diesem Kontext bewusst nicht auf diese „Hilfestellung“, weil ich nicht empfinde, dass dieses Dokument eine echte Hilfe für Christen darstellt. Ich überlege noch, ob ich mich in der Zukunft intensiver zu dieser „Hilfestellung“ äußern werde.