📺 Gauck bei Lanz: Den Begriff rechts „entgiften“

Altbundespräsident Gauck war bei Markus Lanz zu Besuch. Ich habe mir das Video vom Gespräch noch nicht angeschaut. Aber dem, was im Text zitiert wurde, kann ich uneingeschränkt zustimmen.

Vor allem diese Aussage verdient in unserer polarisierten Zeit großes Gewicht:

Toleranz bedeutet für Gauck, Menschen mit unmöglichen Auffassungen zu akzeptieren, solange diese nicht strafbar seien. „Es gibt Dinge, die sind widerlich“, sagt Gauck. „Aber wenn es noch nicht gegen das Grundgesetz ist, dann hat es das Recht zu existieren.“ Krude Ansichten reichten nicht aus, um Menschen „vom Spielfeld zu verweisen“. Dem solle die Gesellschaft mit einer „kämpferischen Toleranz“ antworten.

Schulzwang ist wie Zwangsprostitution

Ich finde es faszinierend, wie Gedanken recycelt werden und wie die Gesellschaft dann darauf reagiert, je nach dem, aus welcher Richtung die gleichen Gedanken geäußert werden.

Als konservative Stimmen der Gesellschaft sich gegen freizügige Darstellungen von Frauen in Medien aufgeregt haben, waren sie prüde und rückwärtsgewandt. Sexuelle Freizügigkeit war ein Zeichen für Modernität und Freiheit.

Bis … ja, bis vor ein paar Jahren sexuelle Freizügigkeit im Rahmen der #metoo Debatte plötzlich als anti-feministisch galt.

Bento hat – mal wieder – einen sehr interessanten Artikel veröffentlicht. Diesmal über Kevin Kühnert und dem Verein „Demokratische Stimme der Jugend“ (DSdJ). Das ist ein progressiver Verein, der sich dafür einsetzt, dass Jugendliche in der Politik mehr Einfluss nehmen.

Dabei bin ich über dieses Zitat gestolpert:

Die Schulpflicht wird kritisiert:

Das Kind macht es dann doch, weil es kaum anders geht und es Angst vor Autoritäten hat, denen es gehorchen muss. Dieser Zustand kann entfernt mit „Zwangsprostitution“ verglichen werden, wobei „Zwangsprostitution“ noch als moralisch verwerflich betrachtet wird und der Schulzwang im anerkannten Rahmen der beschränkten Kultur liegt.

Ich wollte sichergehen, dass das tatsächlich so von der DSdJ formuliert wurde. Und tatsächlich, in ihrem „Manifest jugendlicher Visionen“ steht das so drin:

Wir haben gemerkt, dass uns einige Hürden daran hindern, frei zu sein. Beispielsweise der Schulzwang, der jedem Kind bewusst oder unbewusst zu schaffen macht. Weil es gezwungen wird etwas zu tun, gegen das es manchmal keine Widerstände hat, aber dass es ganz oft lieber nicht machen würde. Das Kind macht es dann doch, weil es kaum anders geht und es Angst vor Autoritäten hat, denen es gehorchen muss. Dieser Zustand kann entfernt mit „Zwangsprostitution“ verglichen werden, wobei „Zwangsprostitution“ noch als moralisch verwerflich betrachtet wird und der Schulzwang im anerkannten Rahmen der beschränkten Kultur liegt.

Kritik an der Schulpflicht? Bisher kannte ich Kritik an der Schulpflicht vor allem von den Homeschoolern. Und jede Kritik an der Schulpflicht wird abgebügelt und abgelehnt.

Auf einmal gibt es aber Kritik an der Schulpflicht aus links-progressiver Richtung. Ich warte noch auf den Tag, an dem diese Sicht plötzlich Massentauglich wird und die Schulpflicht als kapitalistisches Herrschaftsinstrument des alten weißen Mannes gebrandmarkt wird.

Aber ich finde es faszinierend, wie Ideen, die aus einer bestimmten Richtung kommen, komplett abgeblockt werden. Und dann tauchen die gleichen Ideen, teilweise mit identischen Begründungen, wenn auch anderer Wortwahl, aus einer anderen Richtung auf und plötzlich sind sie progressiv und akzeptabel.

Die Geister, die ich rief …

Wenn dieser Satz auf einer konservativen Seite stehen würde, würde sofort der Aufschrei kommen, dass man übertreibt und eine Opfer-Inszenierung betreibt. Wir haben doch Meinungsfreiheit. Jeder kann sagen, was er denkt:

Um ehrlich zu sein: bei mir löst all das mittlerweile eine immer größer werdende Furcht davor aus, mich überhaupt noch politisch zu äußern – besonders bei den Themen, bei denen es weh tut, als Feministin, als Veganerin, als Wählerin. Denn die Gefahr ist groß, dass eine andere Meinung zu einem Shitstorm führt. Wie grotesk schnell das passiert, kann ich jeden Tag sehen.

Dieser Satz findet sich aber nicht auf einem konservativen Blog, sondern auf Bento – dem progressiv-linken Jugendportal von Spiegel Online.

Die Autorin beschreibt in dem Text ihre Angst vor der Empörungsmaschine der sozialen Medien. Die sollte doch nur die bösen Menschen mit den falschen Meinungen erwischen. Aber das Empörungsmonster möchte gefüttert werden. Und immer öfter wird es auch mit denen gefüttert, die doch eigentlich auf der gleichen Seite stehen wie man selbst. Denn da gibt es immer noch jemanden, der Veganer und Umweltfreundlicher ist als man selbst. Und den letzten fressen die Hunde.

Hier ist das Fazit des Artikels:

Wir müssen aufhören, uns gegenseitig zu zerfleischen. Dabei können wir alle mithelfen, indem wir konstruierte Empörung nicht sofort teilen, nicht reflexhaft lospoltern. Denn so machen wir genau das, was Populisten und Trolle tun, was wir eigentlich immer vermeiden wollten: Wir differenzieren nicht mehr, wir sehen keinen Kontext, keine Person. Wir sind einfach nur noch blind vor Wut.

Es wäre schön, wenn dieser Appell der Autorin nicht nur für die eigene Gruppe bestimmt wäre, sondern genauso auch auf alle Menschen ausgeweitet würde und auch die einbeziehen würde, die auf der „falschen“ Seite stehen.