📚 Joel White: Was Gott sich dabei gedacht hat

Es gibt wahrscheinlich kaum ein Thema, dass so persönlich und intim und zugleich so umstritten und diskutiert ist, wie die menschliche Sexualität.

Der Mensch ist von Gott als sexuelles Wesen erschaffen worden; gleichzeitig leben wir Menschen nach christlicher Ăśberzeugung in einer Welt, die sich von Gottes ursprĂĽnglichen Vorstellungen und Gedanken fĂĽr den Menschen weit entfernt hat.

Das gilt auch für unseren Umgang mit unserer Sexualität. Welche Gedanken hat Gott aber für unseren Umgang mit unserer Sexualität? Und wie können wir seine Vorstellungen heute praktisch in der Gemeinde vermitteln und umsetzen?

Joel White, Professor für Neues Testament an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen, hat die Herausforderung angenommen, genau auf diese Fragen Antworten zu geben. Vor kurzem ist sein Buch „Was Gott sich dabei gedacht hat: Die biblische Basis einer christlichen Sexualethik“ im SCM R. Brockhaus Verlag erschienen.

Das Buch möchte keine umfassende Beschäftigung mit allen Fragen dieses Themas bieten. Das macht auch schon der relativ bescheidenen Umfang mit ca. 200 Seiten deutlich. Joel White betont dabei, dass seine Expertise in der biblischen Auslegung liegt, und weniger in der praktischen Theologie. Er möchte in seinem Buch erklären, was die Bibel aus seiner Sicht zu diesem Thema zu sagen hat.

Gleichzeitig hat er aber auch viele Jahre praktische Erfahrungen in verantwortlichen Positionen in verschiedenen Gemeinden sammeln können. So kann er im Buch auch Ansätze und Ratschläge dafür geben, wie man die Ergebnisse seiner Untersuchungen im Gemeindealltag anwenden kann.

Das Buch besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil behandelt den „biblischen Anspruch“. In fĂĽnf Abschnitten geht er dabei auf die wichtigsten Stellen im Alten und Neuen Testament ein, die uns ein Bild von Gottes Vorstellung von Sexualität zeigen. Dabei geht es ihm nicht vor allem darum, was Gott nicht möchte, sondern im Gegenteil darum, welche groĂźartige Idee Gott mit Sexualität gehabt hat. Joel White gelingt es sehr gut, ein positives Bild von Sexualität zu zeichnen, und sie als gutes Geschenk Gottes an uns Menschen vorzustellen. Und er macht deutlich, wie die Grenzen, die Gott fĂĽr die Sexualität gesteckt hat, genau dazu da sind, damit wir dieses gute Geschenk wirklich vollumfänglich genieĂźen können.

Im zweiten Teil geht Joel White auf „Die modernen Herausforderungen“ mit Blick auf Sexualität ein. Drei Themen behandelt er in diesem Teil: 1. Singlesein; 2. Scheidung und Wiederheirat; 3. Homosexualität. Dabei gelingt es ihm, bei allen drei einerseits Themen zu vermitteln, was die Bibel uns dazu zu sagen hat, als auch, wie wir mit diesen Herausforderungen weise und liebevoll in der Gemeinde umgehen können und sollen. 

Joel zeigt beim Thema „Singlesein“ auf, dass „Ehelosigkeit als Gabe“ häufig missverstanden wird und dass Paulus damit etwas anderes meint, als man oft zu hören bekommt. Es geht nicht darum, dass es Menschen gibt, die fĂĽr Ehe geschaffen sind und andere, die halt ohne klarkommen mĂĽssen, weil Gott es so festgelegt hat. Die „Berufung“ zur Ehelosigkeit ist genauso wie die „Berufung zum Ehestand“ eine Berufung dazu, den Stand, in dem man jetzt lebt, zunächst einmal zu akzeptieren und dann weise und verantwortungsvoll damit umzugehen. Das bedeutet fĂĽr Singles aber nicht, dass sich daran nicht in Zukunft etwas ändern kann. Und es bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass man krampfhaft nach einem Partner suchen soll, nur weil man die „Gabe“ der Ehelosigkeit nicht zu haben meint.

Bei Scheidung und Wiederheirat bewegt sich der Autor auf einem guten Mittelweg. Einerseits betont er, dass die Ehe grundsätzlich darauf angelegt ist, Lebenslang zu halten. Es ist nicht im Sinne Gottes, dass Ehen auseinandergehen. Auf der anderen Seite sieht Joel White bei Jesus und Paulus, dass es sehr wohl legitime Gründe dafür gibt, dass man eine Ehe scheidet, die vom Partner bereits gebrochen worden ist. Das dürfen aber keine willkürlichen Gründe sein und das Ziel sollte auch niemals die Scheidung sein, sondern prinzipiell immer die Wiederherstellung der Beziehung. Wo eine Scheidung aufgrund legitimer Gründe erfolgt ist, da wiederum sieht Joel den Raum dafür, dass auch eine Wiederheirat nicht gegen den Willen Gottes verstößt. Das ist ein auch unter konservativen Auslegern sehr umstrittenes Thema. Joel argumentiert für seine Überzeugungen immer mit dem, was wir in der Bibel finden. Selbst wenn man persönlich vielleicht zu anderen Ergebnissen kommen wird, kann man Joel nicht absprechen, dass er es sich bei dieser Frage irgendwie zu einfach machen würde.

Beim Thema Homosexualität behandelt Joel die eingängigen Stellen sehr genau und ausführlich. Er zeigt dabei auf, dass viele Deutungen eine sehr verkürzte oder verzerrte Sicht davon haben, was das alte Testament und vor allem Paulus über Homosexualität geschrieben haben. Er zeichnet dabei nach, dass die grundsätzliche Haltung der Bibel lautet, dass Sexualität aus Gottes Sicht zwischen Mann und Frau stattfinden soll. Joel spricht dabei aber auch die aktuelle Werteverschiebung in vielen Ländern an und gibt praktische und herausfordernde Hinweise dafür, wie Gemeinden einerseits Gottes Vorstellungen lehren und zugleich dem einzelnen Menschen in seiner Lebenssituation liebevoll begegnen können.

Alles in Allem ist das Buch eine sehr gelungene Übersicht zu diesem stark umstrittenen und umkämpften Thema. Es ist sehr gut verständlich geschrieben. Durch persönliche Anekdoten und Einblicke verhindert der Autor, dass das Thema zu trocken und abstrakt bleibt. Gleichzeitig spürt man, dass es Joel White wirklich wichtig ist, danach zu fragen, was Gott uns zu diesem Thema zu sagen hat. Ich kann das Buch uneingeschränkt empfehlen.

Gute Ehen

„Denn gute Ehen sind gute Freundschaften mit einer romantischen Komponente. Dabei bildet die Freundschaft die Grundlage, aus der eine andauernde, erfüllende sexuelle Beziehung in der Ehe wächst.“

Joel White, „Was Gott sich dabei gedacht hat“, S. 91.

📚 Rezension: Traichel – Die christliche Taufe

Die christliche Taufe ist auf der einen Seite das Element, dass die Einheit aller Christen sinnbildlich darstellen soll. Auf der anderen Seite ist die Taufe gleichzeitig der Teil der christlichen Lehre, an dem die christlichen Geister sich leider nur allzu oft scheiden. Im Laufe der Kirchengeschichte haben sich ganz verschiedene Zugänge zur Taufe entwickelt, die teilweise unversöhnlich nebeneinander stehen.

Worum aber geht es bei der Taufe? Was stellt sie dar und was stellt sie nicht dar? Was ist Sinn und Zweck der Taufe? Und wie kann und sollte Taufe verstanden und durchgefĂĽhrt werden, damit sie dem entspricht, was Jesus sich dabei gedacht hat?

Das sind u.a. die Fragen, die Johannes Traichel im Buch „Die christliche Taufe: Eine freikirchliche Perspektive zur Bedeutung, Voraussetzung und Durchführung der Taufe“ (2020, jOTA Publikationen), aufgreift und zu beantworten versucht. Das der Autor an dieses Thema nicht vollkommen neutral herantritt, macht bereits der Untertitel deutlich. Johannes Traichel ist Pastor im Bund der Freien Evangelischen Gemeinden. Er ist sich bewusst, dass die Gefahr besteht, dass man mit gewissen dogmatischen Vorentscheidungen an die Texte herangeht und dann die Ergebnisse vorfindet, die man bereits mitgebracht hat. Sein Anspruch ist es, die Bibel selbst sprechen zu lassen ( 13f). Um aber der Zirkelschluss-Problematik ein Stückweit vorzubeugen, ist es sein Anspruch, auch alternative Deutungen zu Wort kommen zu lassen (15f).

Das Buch ist klar gegliedert und besteht inhaltlich aus 5 Teilen: In der Einleitung formuliert er die Fragestellung, benennt die Herausforderungen, beschreibt seine Methodik und legt seine eigenen Voraussetzungen transparent dar. In Kapitel 2 beschreibt er holzschnittartig die gängigsten Taufverständnisse: Lutherisch, Katholisch und Freikirchlich. Kapitel 3 ist das umfangreichste Kapitel und offensichtlich der Kern der Arbeit. Dort untersucht der Autor den biblischen Schriftbefund anhand zentraler neutestamentlicher Texte. Er geht dabei zu Beginn auf den historischen Hintergrund der Taufe ein – Stichwort: Proselytentaufe – und auf den Taufbegriff selbst.

Anhand der Ergebnisse aus Kapitel 3 nähert er sich in Kapitel 4 den dogmatischen Fragestellungen anhand von vier Themen: Die Begründung, die Bedeutung, die Voraussetzung und die Durchführung der Taufe. Kapitel 5 schließt die Arbeit ab, indem dort ein thesenartiges Fazit und Resumé formuliert wird. Das Buch endet mit einem Schlusswort und einem ausführlichen Literaturverzeichnis.

Das Literaturverzeichnis und die teilweise sehr umfangreichen Fußnoten machen deutlich, dass der Autor sehr viel Arbeit in dieses Buch investiert hat. Dabei ist positiv zu bemerken, dass der Autor sich im Gespräch mit einer großen Bandbreite an Literatur aus sehr verschiedenen theologischen Richtungen befindet.

Eine Stärke des Buches ist auch die sehr ausführliche Beschäftigung mit den zentralen Passagen der Bibel zu Tauffrage. Der Autor versucht dabei einerseits herauszuarbeiten, was diese Passagen uns mitgeben möchten. Gleichzeitig lässt er immer auch konkurrierenden Meinungen viel Raum zu Wort zu kommen. An manchen Stellen hätte ich mir dabei etwas mehr Struktur und „Leitung“ durch den Meinungsdschungel durch den Autor gewünscht. So bleibt man am Ende mancher Analysen u.U. etwas ratlos zurück, was jetzt das Ergebnis ist. Möglicherweise spiegelt das aber an der einen oder anderen Stelle nur die Unsicherheit des Autors selbst wider.

Die Herausforderung, die der Autor sich gestellt hat, hat er am Ende auch geliefert. Er beantwortet die entscheidenden Fragen zur Taufe, mit einem Finger in der Bibel und mit dem anderen Finger in der reichhaltigen Auslegungsgeschichte.

Ein paar Anmerkungen und Anregungen für eine eventuelle Überarbeitung in der Zukunft möchte ich aber an dieser Stelle noch mitgeben:

Ich bin etwas skeptisch, ob die Struktur in Kapitel 2 wirklich angemessen ist. Es ist eine sehr Deutschland-zentrierte Struktur, die die beiden Landeskirchen auf die eine Seite und die Freikirchen auf die andere Seite stellt. Dabei wirkt es so, als wären die Freikirchen in dieser Frage ein monolithischer Block. Zum Einen ist das nicht der Fall, da auch in einigen Freikirchen Säuglingstaufen praktiziert werden. Zum Anderen spielt „Freikirche“ als Oberbegriff einer Gruppe von Konfessionen in anderen Ländern keine Rolle. Meines Erachtens wäre eine Aufteilung in „Säuglingstaufe“ und „Glaubenstaufe“ mit eventuellen weiteren Unterteilungen hilfreicher und dem Thema angemessener.

Generell habe ich mir beim Lesen die Frage gestellt, wer die Zielgruppe dieses Buches ist: Andere Pastoren? Interessierte Laien? Für Laien könnte das Buch u.U. schwer zugänglich sein, weil hier und da Fachbegriffe verwendet werden, die manchen Lesern nicht bekannt sein könnten. Auf S. 95 wird der griechische Bibeltext nicht wie an den anderen Stellen ins Deutsche übersetzt. Etc. Das sind Stolpersteine für manche theologisch nicht ausgebildete, aber interessierte Laien, die man mit etwas Arbeit aus dem Weg räumen könnte.

Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass dem Buch ein ausführlicheres Lektorat gut getan hätte. So ist es an manchen Stellen stilistisch etwas kantig. So schleichen sich hier und da komplizierte Schachtelsätze ein, die man für eine bessere Lesbarkeit aufbrechen könnte (S. 16, 17). An anderen Stellen haben sich Fehler in den Formulierungen (S. 10 Fn 6 vorletzter Satz, S. 41 fehlt „Volk“ vor Israel etc.) als auch in den Querweisen innerhalb des Buches (S. 42 Fn 95 bezieht sich wohl auf 3.6.3 nicht 2.6.4) oder in den Formatierungen (S. 38 FN 80, S. 80 3.5.4 andere griechische Schriftart, S. 117 Tabelle 3 ist die deutsche Übersetzung ausführlicher als das griechische Original, S. 119 ist der Bibeltext in die Fn 365 gesetzt worden und nicht in den Haupttext) eingeschlichen.

Das alles sind für sich genommen keine großen Probleme, die etwas an der Substanz des Buches ändern. Sie können an manchen Stellen dennoch für Irritationen sorgen und den Lesefluss stören.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass dieses Buch eine gute Übersicht über das Verständnis der Taufe aus freikirchlicher Sicht bietet. Wer sich in dieses Thema einarbeiten möchte und eine kompakte und dennoch breit angelegte Einführung sucht, kann mit gutem Gewissen zu diesem Buch greifen. Das gut sortierte Literaturverzeichnis und die gute Quellenarbeit eröffnen Wege für die intensivere Detailbeschäftigung.

Disclaimer: Ich habe das Buch als Rezensionsexemplar vom Verlag kostenfrei erhalten. Das hat keine Auswirkungen auf den Inhalt meiner Rezension.

Die Bundesregierung plant ein Ermächtigungsgesetz …

… könnte man meinen, wenn man den viralen Schlagzeilen und Nachrichten glaubt, die aktuell wieder die Runde in sozialen Medien machen.

Der Anlass ist der Entwurf fĂĽr eine Ăśberarbeitung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), die aktuell im Bundestag debattiert wird. Der Anlass fĂĽr die Ăśberarbeitung ist die aktuelle Corona-Pandemie.

In den christlichen Netzwerken in den sozialen Medien wird ein dringender Gebetsaufruf vom „Gottes Haus“ verbreitet, der vor den anstehenden Ă„nderung warnt und zu Gebet und Fasten aufruft, um diese Gesetzesänderung zu stoppen.

Ist dieser Gesetzesentwurf aber wirklich so gefährlich, wie das Video vermittelt? Ich habe da meine Anfragen. Diese habe ich in einem Video verarbeitet, in dem ich sowohl den Entwurf als auch die Kritik am Entwurf analysiere und bewerte.

Im Gebetsaufruf wird nur auf den Entwurf für die Änderungen am Gesetz Bezug genommen. Für die Einordnung ist es aber wichtig, die Änderungen im Kontext zu betrachten. Ich habe mir daher die Mühe gemacht, die geplanten Änderungen transparent in den aktuellen Gesetzestext einzuarbeiten. So hat man einen besseren Überblick über das ganze geplante Gesetz.

Körtner: Der Mensch braucht eine intakte Gottesbeziehung

Sehr interessantes Interview mit Prof. Körtner über die Leitsätze der EKD zur Zukunft der Kirche im PRO Medienmagazin.

Körtner kritisiert die theologische Leere dieser Leitsätze. In den Leitsätzen wird entweder von Gott allgemein gesprochen oder von Jesus Christus als Vorbild fĂĽr die Menschen. Die Kernanliegen des Evangeliums – SĂĽnde, Vergebung, Erlösung – kommen fĂĽr ihn zu kurz. Er hat die sorge, dass die Kirche sich gar nicht mehr bewusst ist, was ihre Kern-Message ist und sein soll.

Vielmehr muss man sich fragen, warum diese Kirche sich so entwickelt hat, wenn solche Papiere offensichtlich für den Mainstream als konsensfähig gelten können. Wenn das tatsächlich so ist, mache ich mir ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Kirche. Die Kirche muss nach evangelischem Verständnis verkündigen, was Gott an dem Menschen tut. Und zwar nicht nur in der Vergangenheit, indem er Jesus auf die Welt geschickt hat, sondern hier und jetzt. Als gläubiger Christ glaube ich, dass mich Gott durch mein Leben führt. Das ist es doch auch, was ich erwarte, wenn ich einen Gottesdienst besuche: Nicht irgendwelche Moralpredigten, sondern dass ich erfahre, was Gott an uns tut.

Und auf die Frage, was das Zentrum des Glaubens denn sein, antwortet er:

Das Zentrum ist, dass der Mensch eine intakte Gottesbeziehung braucht – auch wenn das hausbacken klingen mag. Wenn die Kirche nicht mehr plausibel machen kann, was mit Sünde gemeint ist und warum der Mensch überhaupt Vergebung und Erlösung braucht, dann brauche ich auch keine Kirche.

Ich habe mich bisher nicht intensiv mit Körtner und seinen theologischen Positionen beschäftigt. Nur in einem Hermeneutik-Seminar an der FTH habe ich einen längeren Abschnitt aus einem seiner Bücher intensiver studiert.

Zunächst klingt es ja gut, was Körtner hier schreibt. Ja fast schon altmodisch – hausbacken -, wie er selbst zugibt. Eine Kirche, die nicht mehr erklären kann, wofĂĽr sie im Grunde steht und was sie einzigartig macht, hat ihr Ziel verfehlt.

Zwischendurch finden wir bei Körtner aber auch selbstkritische Ansätze:

Auch ich muss mich fragen, was ich selber – ob im Hörsaal oder auf der Kanzel – dazu beigetragen habe, dass ein solches Papier entstehen konnte. 

Da möchte ich gerne ansetzen. Ich hatte schon geschrieben, dass ich Körtner nicht wirklich eingehend kenne. Aber das, was ich damals gelesen habe, klang doch sehr nach existentialistischer Theologie in der Tradition von Bultmann. Körtner ist passenderweise MitbegrĂĽnder der „Rudolf Bultmann Gesellschaft“ fĂĽr hermeneutische Theologie.

Ich habe im Internet die digitale Kopie des Buches „Der inspirierte Leser“ von Körtner gefunden. Zugegeben: Das Buch ist von 1994 und ich gestehe jedem zu, dass er sich in seinem Denken weiterentwickelt. Aber was ich dort auf die Schnelle nachlesen konnte, bestätigt meine EindrĂĽcke von damals. Zwar bleibt Körtner nicht bei Bultmann stehen, aber doch entwickelt er dessen Grundanliegen in diesem Buch anhand neuerer Fragestellungen im Grunde nur weiter.

Wenn Körtner daher in einer Antwort folgendes ausspricht:

Verstehen wir eigentlich noch, was in der Bibel steht: Sünde, Vergebung, Erlösung, Versöhnung? Häufig werden dann Metaphern bemüht, etwa bei der Auferstehung: „Morgens stehen wir auch alle auf, und dann sind wir wieder ganz tapfer.“ Stattdessen geht es darum, sich um den Kern des Glaubens zu bemühen, ihn zu pflegen und sich damit ernsthaft auseinanderzusetzen. 

Dann möchte ich zurückfragen: Was verstehen Sie darunter, Herr Körtner? Geht ihr Verständnis dieser Begriffe über eine rein existentialistische Sicht hinaus oder bleiben Sie am Ende doch bei einer innerweltlichen Erklärung stehen, egal wie nett man das am Ende umschreibt?

Ich gebe ehrlich zu: Ich kenne seine Theologie nicht gut genug, um eine Antwort in seinem Sinn wiedergeben zu können. Das ist meine ehrliche Anfrage an ihn.

Meine Sorge aber ist, dass Prof. Körtner mit seiner Selbstkritik ins Schwarze treffen könnte: Eine liberale und rein innerweltlich und faktisch anthropologisch denkende Theologie hat in der konsequenten Weiterentwicklung dieses Ansatzes zu der Sprachlosigkeit der Kirche geführt, die sich in diesen Leitsätzen niederschlägt.

Die Lösung kann also dann nicht darin bestehen, einfach einen Schritt zurĂĽckzugehen, weil dieses Endergebnis des eigenen Denkweges einem zu radikal ist – nach dem Motto: Ich habe zwar diesen Stein in diese Richtung geworfen, aber die kaputte Scheibe wollte ich doch nicht.

Die Lösung kann in meinen Augen nur darin bestehen, sich auf einen ganz anderen Denkweg einzulassen, der bei konsequentem Weiterdenken nicht in dieser Sackgasse endet – oder, um im Bild zu bleiben: Der Stein muss in eine andere Richtung geworfen werden, weil die Scheibe nun mal da steht wo sie steht und der Stein nicht einfach in der Luft stehenbleibt.

Quelle: https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/kirche/2020/10/01/der-mensch-braucht-eine-intakte-gottesbeziehung/